März, der Monat der Aussaat, ist dem Schwerpunktthema Saatgut gewidmet, dem eine hohe Priorität eingeräumt werden muss.
Die aktuelle Faktenlage ist alarmierend: In den nächsten Jahrzehnten werden mehr als eine Million Wildtier-und Wildpflanzenarten aussterben, weil ihr Lebensraum weiterhin systematisch vernichtet wird! Im gleichen Zuge geht auch die Sortenvielfalt in Gartenbau und Landwirtschaft dramatisch zurück! Die Machenschaften der Agrokonzerne gehen kontinuierlich weiter mit den Folgen, dass bereits heute 90% aller Saatgutsorten verschwunden sind. (siehe Zum Nachdenken: Pestizide)

Im Obst-, Gemüse- und Getreideanbau dominieren mittlerweile Hybridsorten, die sich nicht selbst vermehren können. Erstmal die Vokabel: Hybride nennen Biolog*innen ein Individuum, das aus einer Kreuzung verschiedener Arten beziehungsweise Sorten hervorgegangen ist. Für die Hybridzüchtung kreuzen Züchter möglichst nahe Verwandte. Diese bewusste Inzucht verstärkt gewisse Eigenschaften. Wenn man Pflanzen künstlich sozusagen mit sich selbst befruchtet, die Fachleute sprechen von Selbstung, häufen sich in der Nachkommenschaft meist negative Genkombinationen. Nur bei etwa zehn Prozent der Nachkommen kommt es zu einer positiven Kombination – diese Pflanzen werden wiederum geselbstet. Nach rund sieben Inzucht-Generationen können die Züchter dann beim Bundessortenamt Eigentumsrechte anmelden, sich ihre Sorte schützen lassen. Durch Kreuzung zweier Inzuchtlinien entsteht eine Hybride, ein Hybride. Das „patentierte Einwegsaatgut“, ist auch im kontrollierten Bio-Anbau angekommen. Die sogenannten F1-Hybride – F1 heißt die erste Generation der Nachkommen ist laut leicht zynisch klingender Auskunft von Tomatenretter Arndt Niemeyer „optimal“, aber bei der F2-Generation herrsche Chaos, da käme alles total durcheinander. Die Gene für die Kommunikation mit der Umwelt seien gestört. „Die Saat speichert alle Informationen“, erläutert Vera Hempel, die ihre Erfahrungen vom Hof vorm Deich jetzt in die Hamburger Schulen trägt. Saatgut speichere normalerweise auch Informationen über das Klima und den Zustand des Bodens. So könnten sich normalerweise die Pflanzen anpassen und „werden immer stärker“. Wie Gärtner*innen und Landwirt*innen weltweit haben auch die Reitbrooker erfahren, dass vorschriftsmäßige Samen nicht unbedingt gut wachsen in ihrem Boden. Neu gezüchtete Sorten, die zum Handel angemeldet werden, haben hohe Hürden zu überwinden: die einzelnen Pflanzen müssen extrem homogen sein und diese Homogenität über Generationen bewahren. Wegen der hohen Homogenität und Stabilität können sich diese Sorten kaum an Standortbedingungen wie Boden, Klima und Tageslänge anpassen.

Saatgut zu retten und zu bewahren ist also nicht nur in den Hamburger Marschlanden überlebenswichtig. Es geht um unser aller Überleben! Und das sollten wir nicht der Willkür und Profitgier von Konzernen und der Unfähigkeit korrupter Parteipolitiker überlassen.

Wie lässt sich der Umgang mit und die Bewahrung von Saatgut praktisch umsetzen?

Es gilt, vorrangig robuste und samenfeste robuste Sorten zu züchten. Samenfeste Obst-, Gemüse- und Getreidesorten sind zum Nachbau geeignet, zur Saatgutgewinnung durch Gärtner*innen und Landwirt*innen im eigenen Betrieb, wie sie auf dem Hof vorm Deich, bei KEBAP und anderswo weltweit wieder vermehrt betrieben wird. Das Saatgut dieser samenfesten Sorten wird in einer Saatgutbank aufbewahrt und zwar so, dass es einer Patentierung durch Konzerne für immer entzogen ist. Saatgutbanken werden auch „Arche Noah der Artenvielfalt“ genannt. Es gibt sie weltweit – gegenwärtig sind ca. 1400 Aufbewahrungsstandorte für Saatgut bekannt.

Die größte Saatgutbank ist das Svalbard Global Seed Vault im norwegischen Spitzbergen, das 2008 eröffnet wurde.

Auch in unserem regionalen Umfeld – in Hamburg und Umgebung – lässt sich eine stetige Entwicklung rund um das Thema Saatgut beobachten. Diverse Initiativen wie KEBAP, die Tomatenretter-Pioniere vom Hof vorm Deich (www.tomatenretter.de), die alljährlich im autonomen Stadtteiltreff Centro Sociale in Hamburg veranstaltete Saatguttauschbörse sowie zahlreiche andere Projekte tragen zum Erhalt der wertvollen Ressource Saatgut bei. Derzeit denken Hamburger*innen sogar über die Einrichtung einer Saatgutbörse in/für Norddeutschland nach!

Für die praktische Umsetzung sollen samenfeste, robuste und möglichst in Permakultur gezüchtete Sorten sicher aufbewahrt und der Patentierung durch Konzerne entzogen werden.

Dabei haben folgende Kriterien Vorrang:

1) Die Samen sollen von einheimischen (indigenen) Pflanzen stammen, die in der jeweiligen Gegend regional und saisonal angebaut und geerntet werden.

2) Robuste und widerstandsfähige Sorten, die sich auch extremen Witterungsbedingungen anpassen können, sollen bevorzugt werden. Denn aufgrund der anthropogenen globalen Erderwärmung ist auch in unseren Breiten künftig sowohl mit einem Übermaß an Regenfällen und Überschwemmungen als auch mit extremer Hitze und Dürren im Wechsel zu rechnen. Daher ist altes Wissen unserer Vorfahren um wertvolle essbare Pflanzen mit hohem Nährstoffgehalt und optimaler Bioverfügbarkeit für den menschlichen Organismus gefragt.

3) Züchtung und Anbau derartiger Pflanzen sollte möglichst in Permakultur (siehe Zum Nachdenken: Permakultur) erfolgen, um auf natürliche Art und Weise Schädlinge fernzuhalten.

Können wir im Hinblick auf Saatgut vielleicht auch von anderen Kulturen lernen? Ja, und wir sollten es unbedingt!

Denn Menschen in vielen anderen Regionen außerhalb Europas haben erheblich früher begonnen, den gefährlichen Teufelskreis der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen zu durchbrechen und gegen- zusteuern. In diesem Rahmen sollen einige besondere Pionierleistungen kurz skizziert werden. Als vorbildlich sind zwei Großprojekte auf dem indischen Subkontinent in Erscheinung getreten, deren Saatgutbanken längst weltweit bekannt geworden sind. Eines ist das 1991 von Vandana Shiva gegründete Navdanya- Projekt im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Der Name bedeutet „9 Samen“ und steht als Symbol für ökologische Vielfalt. Aus lokalen Gemeinden und Organisationen ist ein Pioniernetzwerk entstanden, das regionales indigenes Saatgut (auch das von Heilpflanzen) sichert und vor dem Aussterben bewahrt. Einer der deutschen Partner ist die Firma Rapunzel.

Das zweite Großprojekt ist im südlichen Andhra Pradesh angesiedelt und bildet eines von mittlerweile zahlreichen Teilprojekten der in den 70er Jahren gegründeten NGO Deccan Development Society (DDS). Die Gesellschaft betreibt seit Jahrzehnten auch eine Saatenbank, die inzwischen einen beträchtlichen Umfang angenommen haben dürfte. Hier haben die in Sanghams organisierten Frauen das „Sagen“! Bemerkenswert ist die Anbindung einer alternativen Schule für kastenlose Dalitkinder, der Pacha Saale (Telugubegriff, Hauptsprache in Andhra Pradesh), was auf Deutsch etwa „Grüne Schule“ bedeutet. Schwerpunktfächer des Schulunterrichtes beinhalten umweltrelevante Themen in Theorie und Praxis, wie z.B. nachhaltige Landwirtschaft, und die praktische Arbeit mit der Saatenbank, in welche die Schüler*innen einbezogen sind. Darüber hinaus arbeiten schon seit Jahren zeitweilig dort ausländische Praktikanten, Studierende, Freiwillige etc. – so ist das Projekt allmählich weltweit bekannt geworden. Vor 2 Jahren wurde im Rahmen der jährlich in Hamburg stattfindenden Saatguttauschbörse im Centro Sociale auch ein Vortrag über die Saatenbank der Pacha Saale gehalten.

Im Juni 2019 erhielten die Frauen der DDS-Sanghams den UN Equator Prize für ihre unermüdliche Arbeit für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung. Dieser Preis wurde von 847 Nominierten an 20 Kandidat*innen verliehen, unter diesen die DDS-Frauen!

Keinesfalls vergessen werden sollen die zahlreichen Kleininitiativen sowie Privatpersonen weltweit, die nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen und dennoch ihren wertvollen und unverzichtbaren Beitrag leisten zu unserer Arche Noah der Artenvielfalt!

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