Die Zukunft ist nicht in Beton gegossen 
von Jakob Kempe

Der Rückkauf des Hamburger Fernwärmenetzes ist nur die jüngste Entwicklung eines schon seit Jahren andauernden politischen Tauziehens. Bereits im Jahr 2013 wurden in Berlin die Wasserbetriebe rekommunalisiert. Im Jahr darauf kaufte die Stadt Hamburg ihr Stromnetz zurück. Weitere fünf Jahre später geht in der Hauptstadt das Stromnetz in öffentlichen Besitz über, während über die Enteignung von Wohnungsunternehmen nachgedacht wird. Nach der Privatisierungswelle der vergangenen Jahrzehnte scheint sich nun eine Trendumkehr bemerkbar zu machen, angetrieben von zahlreichen Bürgerinitiativen und Volksentscheiden.

Wohin die Reise geht, bleibt abzuwarten, doch gerade die Entwicklung auf dem Immobilienmarkt lässt immer mehr Menschen an der Sinnhaftigkeit einer privatwirtschaftlich organisierten Grundversorgung zweifeln.

Dabei steht weit mehr auf dem Spiel als die Verfügbarkeit von bezahlbaren Unterkünften. Schließlich umfasst Wohnen nicht nur den Aufenthalt zuhause oder das Aufbewahren von Gegenständen. Es ist eine Tätigkeit, die sich auch außerhalb der eigenen vier Wände abspielt und nicht unabhängig vom räumlichen und sozialen Umfeld gedacht werden kann. Wohnen bedeutet Lebensgestaltung, das selbstbestimmte Fortschreiben der eigenen Biographie. Und genau diese Selbstbestimmung wird durch die ausufernde Immobilienspekulation in Gefahr gebracht. Menschen werden geografisch nach Einkommen sortiert und verlieren den Zugang zu den städtischen Ressourcen. Bürger*innen geraten zu passiven KonsumentInnen, welche dem Vorhandenen nichts Neues hinzufügen können und deren Einfluss gegenüber einer erstarkenden urbanen Oligarchie stetig abnimmt. Die Stadt droht in Routinen zu erstarren.

Wie umfangreich eine primär profitorientierte Stadtentwicklung Quartiere prägen kann, lässt sich gut an jenen Bereichen der Stadt ablesen, in welchen sich die Bodenpreise schon seit längerem auf einem sehr hohen Niveau befinden.

Nicht zufällig sind Innenstädte häufig die alleinige Domäne von Geschäften für Luxusartikel, Filialen internationaler Unternehmen oder Anwaltskanzleien. Es sind die sauberen, aufgeräumten Bereiche der Stadt, mit der höchsten Dichte an spiegelnden Oberflächen. Hier werden Veranstaltungshinweise nicht an Hauswände gekleistert, sondern an beleuchteten Litfaßsäulen hinter Glas ausgestellt. Kuratierte Orte, an denen ohne formale Prozesse keine Veränderung stattfindet. Alles zielt auf einen reibungslosen Betrieb ab, während alles Störende ferngehalten wird. Nicht selten wird auch der Straßenraum privat verwaltet und überwacht. So entstehen hochspezialisierte, aber exklusive Orte, die gut darin sind, hohe Umsätze zu generieren, aber Schwierigkeiten haben, darüber hinaus gehende Interessen und Nutzungen zu integrieren. Hier etabliert sich nur, was etabliert ist.

Ein anhaltender Anstieg der Flächenpreise sorgt dafür, dass immer mehr Bereiche der Stadt einem ähnlichen Rentabilitätsdruck unterliegen und ihre Entwicklung sich im Geflecht finanzieller Sachzwänge verfängt. Damit einher gehen demographische Veränderungen, die Auflösung über viele Jahre gewachsener Strukturen und der Verlust von Einrichtungen, die als Begegnungsorte, als Keimzellen für Neues, Experimentelles, Subversives und Kulturelles seit jeher unverzichtbarer Bestandteil lebendiger Quartiere sind. Ohne diese Spielräume verschwinden auch viele der Qualitäten, die einer Stadt erst ihre Anziehungskraft verleihen.

Gleichzeitig fließen gewaltige Summen Monat für Monat aus der Stadt, auf die Konten von Wohnungsunternehmen, Energieversorgern und den großen Einzelhandelsketten. Geld, das den Einwohner*innen nicht mehr zur Verfügung steht, und somit auch nicht in Kiosken, Kneipen oder zur Umsetzung eigener Projekte ausgegeben werden kann.

Eine Stadt ist jedoch mehr als eine Ansammlung von Anlageobjekten. Sie ist ein Lebensraum, ein von und für Menschen errichtetes Habitat. Als solches muss sie zuerst den Ansprüchen ihrer Bewohner*innen genügen. Steht der Ertrag an erster Stelle, handelt es sich um ein Gehege.

Die Stadt der Zukunft ist eine Stadt, in der Freiheit nicht unter Finanzierungsvorbehalt steht. In der Interaktionen nicht durch Transaktionen ersetzt werden. In der günstige Räume und günstige Lagen nicht im Widerspruch stehen. In der die Versorgung mit Flächen, Nahrung und Energie von denjenigen kontrolliert wird, die auf sie angewiesen sind. In der Nachhaltigkeit keine leere Worthülse bleibt.

Der Bunker in der Schomburgstraße bietet die Chance, einen Schritt in diese Richtung zu gehen. Zwar kann die Initiative nicht außerhalb der vorherrschenden ökonomischen Gegebenheiten agieren. Dennoch kann das Projekt aufzeigen, wie den gegenwärtigen Herausforderungen auf lokaler Ebene begegnet werden kann, hier und jetzt, mit den vorhandenen Werkzeugen. Dabei handelt sich nicht um einen Tropfen auf den heißen Stein, sondern um ein übertragbares und skalierbares Modell, welches beweist, dass Nachhaltigkeit kein Nullsummenspiel ist und dass finanzielle Erfordernisse sowie Umwelt- und Sozialverträglichkeit selbstverständlich miteinander in Einklang zu bringen sind.

Statt eines vorprogrammierten, statischen Produktes entsteht ein Gerüst, dessen Inhalt von den späteren Nutzer*innen selbst ausgestaltet und fortwährend weiterentwickelt werden kann. Eine Oase aus Beton, für mehr Leben, mehr Teilhabe und mehr Selbstbestimmung.

Dass ausgerechnet ein Bunker, Sinnbild der Unveränderlichkeit, Furcht und Abschottung, zu einem flexiblen, zukunftsgewandten und offenen Raum für Alle werden kann, ist ein Beleg dafür, dass grundlegende Veränderungen nur eine Frage der Motivation sind.

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